Tiefe Sensibilität für Kommunikation

Foto: Beitrag iüber Brigitte Schwaiger: Im Standard vom 26. Juli:
Autorin des Double Bind


Brigitte Schwaiger starb vor zehn Jahren. Zuvor ein Leidensweg in Österreich.  Neue Erkenntnisse über den Tod der Autorin.

In der FAZ und im Standard Album wurde der österreichischen Schriftstellerin Brigitte Schwaiger gedacht. Eigentlich hätte der Text im Standard Album erscheinen sollen mit dem Titel: „Autorin ohne Schuld“.

Der Text kritisierte die psychiatrischen Anstalten in Wien. Ein Redakteur des Standard kontaktierte den Autor des Beitrags am Montag, um eine mögliche Fassung für die Veröffentlichung zu vereinbaren. Es sollte stärker das literarische Werk der Autorin im Text behandelt werden. Als Redaktionssschluss wurde Mittwoch, 12 Uhr genannt.

Als Titel wurde nun gewählt: „Autorin des Double Bind“. Eine Textstelle zitiert,, die zeigt, wie Brigitte Schwaiger das Gesprächsverhalten mit Double Bind darstellte. Denn Brigitte Schwaiger war eine Autorin mit tiefer Sensibilität für Unstimmigkeit in der Kommunikation.

Der Vorschlag des Redakteurs war eigentlich, dass nochmals auf die Methode des Surrealismus eingegangen wird, wie schon beim Beitrag in der FAZ. Denn er schätzt André Bretons „Nadja“. Das Werk von Breton ist tatsächlich von Bedeutung. Dennoch wollte ich nicht nochmals über den Bezug von Brigitte Schwaiger zum Surrealismus schreiben. Es erschien mir sinnvoller, dieses Mal die Beschreibung des Double Bind zu betonen, eine kommunikative Störung, die Brigitte Schwaiger offenbar tief erspürte und in ihrem Werk auch vermitteln wollte.

Der Text „Autorin ohne Schuld“ wird noch einem weiteren Medium angeboten. Eine Veröffentlichung wird vorbereitet.. Hier die Originalfassung von „Autorin des Double Bind“, die im Standard mit leichten Veränderungen gedruckt wurde:


Zum 10. Todestag von Brigitte Schwaiger
Autorin des Double Bind

von Johannes Schütz

Sie lebte im Kreis von Literaten. Schon ihr erster Roman fand Beachtung. Doch Brigitte Schwaiger erhielt ihre letzte Unterkunft in der Psychiatrie. Medikamente lösten Bewegungsstörungen aus. Bis die Autorin tot im Donaugewässer aufgefunden wurde.

Etablierte Kollegen wurden rasch auf das Talent der jungen Autorin aufmerksam. Der erste Text von Brigitte Schwaiger wurde 1974 in der Kulturzeitschrift „Neue Wege“ veröffentlicht. Ein Auszug aus einem Manuskript mit dem Arbeitstitel „Situation in Prosa“.  Im Alter von 25 Jahren gelang damit der Einstieg in die ersehnte Welt der Literaten.  Es war Peter Henisch, der die Literaturseiten für „Neue Wege“ betreute.

Jeannie Ebner, Redakteurin von „Literatur und Kritik“, die für die Förderung junger Autoren damals bedeutend war, veröffentlichte im Juli 1975 ein Kapitel aus dem Werk. Erstmals mit dem später berühmten Titel: „Wie kommt das Salz ins Meer“.

Henisch berichtet, dass er „den S. Fischer Verlag auf Brigitte Schwaigers Text aufmerksam machte, man war dort durchaus interessiert“. Doch auch Friedrich Torberg, der damalige Doyen der österreichischen Literatur, erkannte die schriftstellerische Leistung von Brigitte Schwaiger. Er brachte die junge Autorin rasch zu Zsolnay, wo ihr erster Roman 1977 erschien.

Kollektive Erfahrungen

Der Roman „Wie kommt das Salz ins Meer“ bot für die Leser eine Art von moderner Anagnorisis:

„Mutter nahm die Fleischstücke aus der Pfanne. (…) Dieses Stück für Vater? Nein, für Vater das magere. Er mag kein Fett. Wer sagt, dass ich kein Fett mag? Warum gibt es keine Suppe? Also, sagte Mutter, wenn ich zu diesem Fleisch eine Suppe mache, dann fragst du, warum ich eine Suppe gemacht habe. Und wenn es keine gibt, dann fragst du, warum ich keine Suppe gemacht habe!“, so gewährte Brigitte Schwaiger einen Einblick in die täglichen Spannungen einer österreichischen Kleinfamilie.

Besser konnte man die Methode des „Double Bind“ nicht vorführen. Paul Watzlawick beschrieb dieses Dilemma als beschädigte Kommunikation in seinem grundlegenden Werk „Die Möglichkeit des Andersseins“. Watzlawick, in Kärnten geboren, dann Ausbildung am C. G. Jung Institut in Zürich, forschte dazu in Palo Alto, Kalifornien.

Double Bind  löst emotionale Belastung aus und bedeutet die Herstellung einer ausweglosen Situation, die nur noch jenseits von ja und nein beantwortet werden kann, wie in einem Koan des japanischen Zen. Brigitte Schwaiger fand die Lösung, wie ein Meister des Zen, im ausgeschlossenen Dritten.  In ihrem Weg mit Literatur.

Wirtschaftlich erfolgreiche Romane

Mit dem Roman „Wie kommt das Salz ins Meer“ verdiente Brigitte Schwaiger, nach eigenen Angaben, 1977 eine Million Schilling (72.672 Euro), „dann verteilt auf 20 Jahre noch insgesamt 2,5 Millionen Schilling“ (181.682 Euro).

Weitere Romane von Brigitte Schwaiger waren erfolgreich. Regina Steinicke vom Rowohlt Verlag nannte uns die genauen Verkaufszahlen:
„Mein spanisches Dorf“ knapp 100.000 verkaufte Exemplare mit drei Auflagen, „Der Himmel ist süß“  30.000 verkaufte Exemplare mit 4 Auflagen, „Malstunde“ 10.000 verkaufte Exemplare und „Die Galizianerin“ 14.000 verkaufte Exemplare“.

Weitere Bücher von Brigitte Schwaiger erschienen zwischen 1989 und 2000 beim Verlag LangenMüller, der auf Anfrage keine Verkaufszahlen nennen möchte. Doch man kann vom wirtschaftlichen Erfolg ausgehen, da der Verlag zehn Bücher auf den Markt brachte

Beim Czernin Verlag in Wien erschienen die letzten Werke von Brigitte Schwaiger: „Fallen lassen“, über ihre Erfahrungen mit der Psychiatrie, wurde 2006 veröffentlicht. Ihre Memoiren „Wenn Gott tot ist“ erschienen nach ihrem Tod.  Der Leiter des Czernin Verlags erklärte, dass grundsätzlich keine Verkaufszahlen genannt werden.

Sachwalter übernimmt Einkünfte

Ein Psychiater diagnostizierte „endogene Depression“. Die Einnahmen der Autorin wurden von einem Sachwalter übernommen. Sie schrieb am 6. Juli 2009 an das Literaturhaus Wien:

„Sehr geehrte Herrschaften! Ich habe kein Geld! Brigitte Schwaiger”.

Brigitte Schwaiger war zuvor mit dem Literaturhaus mehrfach in Kontakt, um ihre Situation zu schildern, in die sie durch Sachwalterschaft geraten ist. Noch am 8. April 2009 verfasste die Autorin einen Brief an den Direktor des Literaturhauses Wien. Sie ersuchte ihn um 40 Euro.  Das ist ein Betrag, den Brigitte Schwaiger durch ihre Bücher verdienen kann.

Zehn Jahre nach ihrem Tod wurde die Verlassenschaft von Brigitte Schwaiger noch nicht geklärt. Das Bezirksgericht in Wien-Fünfhaus bestellte im Juni 2012 einen Verlassenschaftskurator, der die Verwertung des Werkes von Brigitte Schwaiger besorgen soll.

Obwohl rechtmäßige Erben vorhanden wären.  Ihr Sohn Michael wurde im November 1987 geboren und war ihr „Lebensinhalt“, so schrieb Brigitte Schwaiger.  Er wurde vom Jugendamt der Stadt Wien in ein Heim gebracht, als sie in die Psychiatrie kam. Sollte ihr Sohn das Erbe nicht erhalten, so wäre noch bei drei Schwestern von Brigitte Schwaiger ein Anspruch zu nennen.

Literarische Begleiterin

Brigitte Schwaiger wirkte anregend auf die nächste Generation von Schriftstellerinnen. Für Gertraud Klemm war sie eine wichtige Begleiterin des literarischen Schaffens:

„Für mich hat Brigitte Schwaiger ein Tor zum autobiografischen Schreiben geöffnet, das sich nicht hinter althergebrachten Denkmustern verstecken muss. Sie hat tabulos und mutig geschrieben, über frauenbiografische, vom Bewertungsbetrieb geächtete Themen“, erzählte uns Gertraud Klemm, die an der Wiener „Schule für Dichtung“ lehrt.

Am 13. Juni 2002 trat Brigitte Schwaiger noch in Klagenfurt auf. Sie wurde vom P.E.N.-Club Kärnten eingeladen. Es war ihre letzte öffentliche Lesung.

Brigitte Schwaiger war gut integriert in die österreichische Kulturlandschaft . Doch im November 2002 kam sie in die psychiatrische Klinik, die in Wien unter dem Namen „Steinhof“ bekannt ist.


Welt der Netzbetten

In der Anstalt kam Brigitte Schwaiger nochmals in Berührung mit dem Gesprächsverhalten des Double Bind:

„Jedenfalls spielte ich eine Zeitlang Vermittlerin zwischen Netzbettinsassinnen und dem Pflegepersonal, bis ein Pfleger mich bat, solcher Vermittlerdienste zu unterlassen“, berichtete Schwaiger in Fallen lassen“.

Der Gemeinderat der Stadt Wien war im Februar 2008 gezwungen, eine Kommission einzusetzen, die Vorfälle in der psychiatrischen Klinik untersuchen sollte. Der Bericht wurde im Februar 2009 vorgelegt:
„Gravierende Missstände in der Versorgung von psychiatrischen PatientInnen im Verantwortungsbereich der Gemeinde Wien“ (19. 2. 2009, 44 Seiten).


Kreativität  blockiert

Friedrich Torberg, der bedeutende Mentor, riet Brigitte Schwaiger einst: „Wir brauchen keine Psychiater“, so erzählte es die Autorin in ihren Memoiren „Wenn Gott tot ist“.

Die Autorin bekam in der Anstalt schwere Medikamente: „Ein Pulverl gab er mir gegen Schlafstörungen, dazu eins, das die Nebenwirkungen des Pulverls beseitigen würde, dazu noch etwas Drittes“, berichtete Schwaiger.

Das ist die typische Medikation in Kombination mit Haloperidol, dem gefährlichen Wirkstoff der Neuroleptika.  Es wird ein zweites Medikament gegeben, etwa Carbamazepin, um Muskelzuckungen abzuschwächen, die ausgelöst werden.

Haloperidol blockiert die Aufnahme von Dopamin. In der Psychiatrie werden auch Mittel eingesetzt, die Serotonin ausschalten. Obwohl Serotonin und Dopamin eigentlich als „Glückshormone“ beschrieben werden. Sie können als das biologische Fundament der schöpferischen Arbeit gelten.

Neuroleptika werden in der Psychiatrie eingesetzt unter dem Begriff: „Chemische Fixierung“. Haldol steht in der „Roten Liste“, der Arzneimittelinformation für Deutschland, mit dem Hinweis: „Achten Sie auf schwerwiegende Nebenwirkungen“.

Ernste Depressionen werden ausgelöst, Gedanken an Suizid, auch aufgrund der schlechten Allgemeinverfassung, die durch das Präparat induziert wird.  Brigitte Schwaiger berichtete, dass sie dadurch unter Bewegungsstörungen leide, konzentrationsgestört und depressiv sei. Sie hätte „nicht mehr das Gefühl, eine Schriftstellerin zu sein“.

Schließlich findet man die Autorin am 26. Juli 2010 im Donaugewässer. Dann Sensengasse 2, zur Gerichtsmedizin, Obduktion. Die Stadt Wien gewährt ein Ehrengrab. Am Wiener Zentralfriedhof, Gruppe 40, Nummer 72.

Links:

Brigitte Schwaiger: Autorin des Double Bind
(Der Standard, 26. 7. 2020)

Passion einer Autorin: Zum 10. Todestag von Brigitte Schwaiger
(Tabula Rasa Magazin,  17. 7. 2020)

Brigitte Schwaiger: Die vielfach Verlorene
(FAZ, 29. 6. 2020)

 

© Autor: Johannes Schütz, 2020

Zum Autor:
Johannes Schütz, ist Medienwissenschafter und Publizist,, war Lehrbeauftragter an der Universität Wien (Informationbroking, Recherchetechniken, Medienkompetenz), Vorstand des Zentrums für Medienkompetenz, Projektleiter bei der Konzeption des Wiener Community-TV, Projektleiter für ein Twin-City-TV Wien-Bratislava (in Zusammenarbeit mit dem Institut für Journalistik der Universität Bratislava), investigative Publikationen (Justiz, EU).
Johannes Schütz bereitet eine Buchpublikation vor: „Die Enteigner: Der größte Skandal der Republik Österreich“.
Kontakt: info [at] communitytv.eu

 

 

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Johannes Schütz, Medienwissenschafter und Publizist, geboren in Österreich, lebt jetzt im Exil, war Lehrbeauftragter an der Universität Wien (Informationbroking, Recherchetechniken, Medienkompetenz), Vorstand des Zentrums für Medienkompetenz, Projektleiter bei der Konzeption des Wiener Community-TV, Projektleiter Twin-City-TV Wien-Bratislava, investigative Publikationen (Grundrechte, EU). Veröffentlichungen u. a. The European, Tabula Rasa. Johannes Schütz bereitet eine Buchpublikation vor: „Die Enteigner: Der größte Skandal der Republik Österreich". Homepage: www.journalist.tel www.tabularasamagazin.de/author/schuetz_johannes www.theeuropean.de/johannes-schuetz Kontakt: iinfo [at] communitytv.eu